Interpretation: Roman

1. Beispiel (zu Uwe Timm: Rot)
Musteraufsatz zum 2. Thema des 1. Beispiels
Ersatzthemen zum 1. Beispiel
2. Beispiel (zu Umberto Eco: Der Name der Rose)
3. Beispiel (zu Juli Zeh: Spieltrieb)
4. Beispiel (zu Max Frisch: Stiller [Rip van Winkle])
5. Beispiel (zu Max Frisch: Stiller [Isidor-Geschichte])
6. Beispiel (zu Goethe: Werther)
7. Beispiel (zu Uwe Timm: Rot; 30.11.2012)


1. Beispiel

Alle Themen beziehen sich auf Uwe Timms Roman Rot, Ausgabe des dtv-Verlages! Bearbeiten Sie eines der Themen in einem geschlossenen Aufsatz.
Die Arbeitszeit beträgt 240 Minuten (07:50 11:50 Uhr)

Viel Erfolg!

Themen:

  1. Textgrundlage: S. 7-11 („Ich schwebe.“ bis „jederzeit weiterziehen.“). Interpretieren Sie den Anfang des Romans Rot von Uwe Timm. Gehen Sie dabei unter anderem besonders auf die Erzählsituation, wiederkehrende Motive und die Merkmale des modernen Romans ein.
  2. Textgrundlage: S. 157-159 („Die dunkle Fläche...“ bis „...nicht schwul sind.“). Interpretieren Sie den bezeichneten Auschnitt des Romans Rot von Uwe Timm. Charakterisieren Sie, davon ausgehend, die darin genannten Personen und stellen Sie deren Geschichte sowie die Entwicklung der Beziehung zwischen ihnen dar.
    (Musteraufsatz)
  3. Erörtern Sie den folgenden Aphorismus, indem Sie seine Aussage an Uwe Timms Roman Rot überprüfen!

    „Wenn es eine Muse des Romans gibt - die zehnte -, so trägt sie die Embleme der Küchenfee. Sie erhebt die Welt aus dem Rohzustande, um ihr Essbares herzustellen, um ihr ihren Geschmack abzugewinnen.“

    Walter Benjamin (1892-1940), dt. Literaturkritiker u. Schriftsteller
  4. Setzen Sie sich mit dem folgenden Zitat kritisch auseinander, indem Sie seine These an Uwe Timms Roman Rot überprüfen!

    „Der Roman, der ursprünglich eine naive Erzählung ritterlicher Abenteuer war, hat sich als ein äußerst leistungsfähiges literarisches Medium erwiesen und scheint sich auch gegen konkurrierende Erzähl-Medien wie den Film zu behaupten. Immer noch wird in ihm der Versuch unternommen, in kritischer, utopischer oder spielerischer Absicht die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zu führen. Zu recht kann er immer noch als Experimentierfeld des menschlichen "Möglichkeitssinns" (Robert Musil) gelten.“

    Quelle: http://www.uni-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/epik/roman.htm

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Ersatzthemen zum 1. Beispiel

  1. Textgrundlage: S. 90-93 („Es war ein ungewöhnlich kühler Morgen“ bis „Zitate, die er gesammelt hatte, las.“). Interpretieren Sie den bezeichneten Auschnitt des Romans Rot von Uwe Timm. Gehen Sie dabei unter anderem besonders auf die Bedeutung der genannten Person für die Entwicklung des Erzählers, wiederkehrende Motive und die Merkmale des modernen Romans ein.
  2. Textgrundlage: S. 388-Schluss („Auf der Straße“ bis „Licht.“). Interpretieren Sie den Schluss des Romans Rot von Uwe Timm. Charakterisieren Sie darüber hinaus die Hauptpersonen des Romans und gehen Sie besonders auf die Bedeutung des Lichts in seinen diversen Spielarten ein.
  3. Erörtern Sie den folgenden Aphorismus, indem Sie seine Aussage an Uwe Timms Roman Rot überprüfen!

    „Ein sicheres Zeichen von einem guten Buch ist, wenn es einem immer besser gefällt, je älter man wird.“

    Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)

  4. Setzen Sie sich mit dem folgenden Zitat kritisch auseinander, indem Sie seine These an Uwe Timms Roman Rot überprüfen!

    „Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch?“

    Franz Kafka (1883-1924)

Musteraufsatz zum 2. Thema:

Textgrundlage: S. 157-159 (Ausgabe des dtv-Verlages, „Die dunkle Fläche...“ bis „...nicht schwul sind.“). Interpretieren Sie den bezeichneten Ausschnitt des Romans Rot von Uwe Timm. Charakterisieren Sie, davon ausgehend, die darin genannten Personen und stellen Sie deren Geschichte sowie die Entwicklung der Beziehung zwischen ihnen dar.


Gliederung

  1. Bewusstseinsstrom eines Sterbenden
  2. Interpretation einer Textstelle (S. 157-159) des Romans „Rot“ von Uwe Timm
    1. Nahtoderlebnis, Iris' Liebesgeständnis und Anzeichen einer Schwangerschaft
    2. Grundsätzliche Änderung der Liebesbeziehung
    3. Aufbau in zwei Teilen
    4. Steigerung als erzählerisches Mittel
    5. Die Personen
      1. Charakterisierung von Thomas und Iris
      2. Verhältnis zueinander und dessen weitere Entwicklung
    6. Schwangerschaft, sowie Eros und Thanatos als Motive
  3. Rot, die Farbe der Liebe

Ausführung

Die gegenwärtige Handlung des Romans „Rot“ von Uwe Timm stellt den Tod des Erzählers in Form eines Bewusstseinsstroms des Sterbenden dar. Die Hauptperson, identisch mit dem Erzähler, reflektiert im Roman Geschehnisse der weit zurückliegenden und unmittelbaren Vergangenheit. Das Nahtoderlebnis selbst zieht sich durch den gesamten Roman und auch die im Folgenden behandelte Textstelle beinhaltet den Bewusstseinsstrom.

Der Textausschnitt beginnt mit einem Teil des immer wiederkehrenden Nahtoderlebnisses des Erzählers, in dem die „dunkle Fläche“, eine „Flüssigkeit“ (S. 157) beschrieben wird, die sich langsam ausbreitet. Damit ist das Blut des Unfallopfers gemeint, das sich in einer Lach auf dem Asphalt verteilt. Weiterhin werden zwei Treffen von Thomas und seiner jüngeren Geliebten Iris erzählt, die jeweils eine Schlüsselstelle in der Beziehung der beiden darstellen. Beim zuerst beschriebenen Rendezvous in einem Restaurantgarten gesteht Iris zum ersten Mal ihre Liebe zu Thomas und betont, dass sie „es ernst“ (S. 157) meint. Beim zweiten Zusammensein in einem Restaurant „An der Schleuse“ (S. 157), bei dem auch Iris' Mann Ben und ihre Freundin Nilgün anwesend sind, wird Iris übel, sie wird „geradezu weiß“ (S. 158). Für Thomas ist dies bereits ein Anzeichen für eine Schwangerschaft, die von Iris in der Chronologie der Entwicklung ihrer Beziehung bestätigt wird. Diese beiden Treffen stellen eine grundsätzliche Änderung in der Liebesbeziehung zwischen Thomas und Iris dar. Nach dem Liebesgeständnis von Iris stellt sich bei Thomas sofort eine „andere Empfindung“ (S. 157) ein, woraufhin er sie „erstmals öffentlich“ auf den Mund küsst. War die Affäre zunächst nur ein sexuelles Abenteuer, so ist von nun an „etwas Grundsätzliches anders“ (S. 158) geworden. Der Ich-Erzähler Thomas antwortet auf Iris' Geständnis nur mit einem Händedruck, obwohl er innerlich jubelt. Dieses Jubeln lässt seine Gefühle für die Geliebte erahnen, Thomas hält sich in diesem Fall nicht, wie eigentlich im gesamten Roman, mit einer persönlichen Wertung im Bezug auf seine Gefühle zu Iris zurück. Vielmehr lässt er sich zu einer sehr emotionalen Reaktion, dem Kuss, hinreißen. Auch die „Anzeichen“ (S. 158) für Iris' Schwangerschaft ändern das Verhältnis der beiden Liebenden. In diesem Abschnitt wird das Wort Schwangerschaft vom Ich-Erzähler vermieden, vielmehr nur als „der eine Gedanke“ (S. 159) bezeichnet. Thomas verneint zunächst noch eine Schwangerschaft auf Grund der Existenz „pharmazeutischer Ovulationshemmer“ (S. 159).

Der Textausschnitt ist in zwei Teile gegliedert. Zum einen in die fortlaufende Handlung des Romans, Thomas' Tod, und in die Liebesbeziehung mit Iris. Diese beiden Teile stellen Thanatos und Eros dar, die die beiden Gegensätze Todestrieb und Liebestrieb verkörpern. Thanatos, der Todestrieb, wird sowohl im Nahtoderlebnis, als auch in der Sinnlosigkeit, die Thomas' Existenz bis zu der Beziehung mit Iris hatte, dargestellt. Iris' Liebesgeständnis und ihre Schwangerschaft, für die es bei dem Treffen mit Ben und Nilgün bereits Anzeichen gibt, verkörpern den Liebestrieb Eros. Dieser beinhaltet sowohl Liebe, als auch die Weitergabe von Leben in der Schwangerschaft.

In dem Teil des Textabschnittes, der den Eros beinhaltet, ist eine Steigerung bezüglich des Inhaltes zu erkennen. Hier ist die Handlung, die im gesamten Roman scheinbar ohne bestimmte Reihenfolge aneinander reiht ist, chronologisch aufgebaut. Auf das Liebesgeständnis, das eine Beziehung ernsthaft und mit Zukunft erscheinen lasst, folgt die beim Treffen an der Schleuse angedeutete Schwangerschaft von Iris. Normalerweise ist Schwangerschaft eine Folge von Liebe. Auch passt die Reihenfolge in die Chronologie der Romanhandlung, da Iris erst einige Zeit nach ihrem „Ich liebe dich“ (S. 157), erst nachdem Thomas diese drei Worte aussprechen kann, ihm ihre Schwangerschaft kurz vor seinem Tod offenbart.

Die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Thomas und Iris nimmt innerhalb des besonderen Textausschnittes andere Dimensionen,die sich vor allem auf die Zukunft ausrichten, an. Thomas, der einen engen Bezug zur Vergangenheit hat, orientiert sich nun zunehmend auf die Zukunft, eine gemeinsame Zukunft mit Iris, die bereits vor dem Liebesgeständnis an Thomas eine feste Partnerschaft mit diesem eingehen wollte. Die Beziehung zu ihrem Mann Ben ist für Iris zu diesem Zeitpunkt bereits beendet, wenn auch noch nicht offiziell. In der folgenden Handlung gesteht sie Ben jedoch ihre Affäre mit Thomas, den sie auf einer Beerdigung kennen gelernt hat, und die bereits drei Monate andauert. Dass die Ehepartner bereits keine emotionale Bindung mehr haben, Iris diese vielmehr zu Thomas aufgebaut hat, zeigt sich in dem Verhalten Bens gegenüber Iris' Übelkeit beim Essen. Ben, der nie Kinder wollte und „groß geworden“ ist „in Zeiten pharmazeutischer Ovulationshemmer denkt, was sich an seinem Verhalten ablesen lässt, nicht im Entferntesten an eine mögliche Schwangerschaft, reicht Iris nur „seine Serviette“ (S. 159). Im Gegensatz zu Thomas, der in diesem Augenblick völlig perplex ist, da ihm „natürlich“ der Gedanke an eine Schwangerschaft durchzuckt. Nilgün, eine Freundin von Iris, steht in dieser Personenkonstellation, die die Dreiecksbeziehung zwischen Iris, Thomas und Ben beinhaltet, außen vor. Sie teilt mit Thomas die politisch linke Einstellung, dient bei den regelmäßigen Treffen an der Schleuse als Gesprächspartner und zur Auflockerung der Situation, die zwischen Iris, Thomas und Ben gespannt ist. Nilgün und Thomas verstehen sich im Laufe der Handlung jedoch aus Iris' Blickwinkel zu gut miteinander. Iris wird eifersüchtig, sie möchte Thomas für sich alleine haben, da sie ihn liebt. Nilgün, eine „Alemantürkin“ (S. 159), ist sehr gebildet, hat studiert und führt als Zahnärztin eine Gemeinschaftspraxis, in der sie illegal Eingewanderte kostenlos behandelt. Sie verkörpert die emanzipierte, beruflich erfolgreiche Frau, die ihre Reize gezielt einzusetzen weiß. Als sie Thomas, einen ehemaligen Achtundsechziger, Jazzkritiker und Beerdigungsredner, kennen lernt, scheint sie ihn zunächst zu verabscheuen, im Laufe des Gesprächs und mit der Zeit lernt sie Thomas, seine politische Einstellung und seinen Intellekt zu schätzen. Ben ist Controller und einer großen Firma und macht auf den Erzähler einen sympathischen Eindruck. Iris' Ehemann ahnt nichts von der Affäre seiner Frau, hegt sogar ein bisschen Bewunderung für den deutlich älteren Thomas. Ben ist außerdem beruflich sehr viel unterwegs, wodurch er die zahlreichen Rendezvous seiner Frau mit Thomas nicht mitbekommen kann. Die sechsjährige Ehe zwischen Iris, einer Lichtdesignerin, und Ben ist nach vier Jahren eingeschlafen, einer der Gründe, weshalb Iris die Geliebte von Thomas wird. Als Ben jedoch gegen Ende des Romans von der Affäre erfährt, bricht er zusammen.

Die Textstelle beinhaltet weiterhin zahlreiche Leitmotive des Romans. Zum einen Iris' indirekt angedeutete Schwangerschaft. Thomas Ex-Frau Lena hat bereits zweimal abgetrieben, Thomas betrachtet sich demzufolge als potenzieller zweifacher Vater und scheint die Abtreibungen nun, Jahre nach dem Eingriff, zu bedauern. Iris, die sich bereits von Ben Kinder gewünscht hat, möchte jedoch, wie in der folgenden Handlung zu erkennen, das Kind zur Welt bringen. Dies ist auch an ihrem trotzigen Verhalten gegenüber der Schwangerschaftsübelkeit zu erkennen, sie schaufelt „sich weiter Sauerkraut“ (S. 159) rein, ganz zu Thomas' Erschrecken, beteuert, dass es schon „geht“ (S. 159). Iris' Schwangerschaft und die Weitergabe des Lebens bedeuten außerdem Hoffnung, ein Wort, das Thomas selbst nie in seinen Beerdigungsreden benutzt, das er jedoch durch die Schwangerschaft unmittelbar vor seinem Tod selbst erfährt. Die Hoffnung wiederum bringt den Glauben an ein Leben, zumindest ein Dasein nach dem Tod mit sich. Weiterhin werden Schwangerschaft, also Leben, und der Tod durch Eros und Thanatos ausgedrückt. Der Tod von Thomas, der erst durch die Liebe zu Iris, die sein Kind erwartet, neue Hoffnung geschöpft hat, steht für den Thanatos. Jedoch kann man diesen während Thomas' Tod nicht mehr als Todestrieb bezeichnen, da sein Leben nicht mehr sinnlos ist. Wägt man Liebe und Tod, beziehungsweise Sinnlosigkeit im Roman gegeneinander ab, so überwiegt die Liebe von Thomas zu Iris. Selbst im Nahtoderlebnis, zu Beginn des Textabschnittes, überwiegt zunächst der Liebestrieb. Die als „dunkle Fläche“ (S. 157) bezeichnete Flüssigkeit stellt Blut dar. Blut ist rot, die Farbe er Liebe. Auch wird in diesem Abschnitt die „Sonne“ (S. 157) erwähnt. Licht, in diesem Fall das Sonnenlicht, steht für Hoffnung. Außerdem steht es im Bezug zu Iris, die eben mit Licht arbeitet. Sonnenlicht enthält alle Farben, die Farben des Regenbogens, für die das Wort „Iris“ in der griechischen Mythologie steht. Das Schwarz der Beerdigungen, das mit Thomas zu assoziieren ist, verschluckt dagegen alle Farben und steht für den Tod. Nach dem Beleuchten der dunklen Fläche durch die Sonne verändert sich das „leuchtende Dunkel“ (S. 157) in eine „stumpfe, glanzlose Fläche“ (S. 157). Dieses Stumpfe, Glanzlose steht für den Tod, der als Leitmotiv den ganzen Roman durchzieht.

Die Farbe Rot, die auch der Titel des Romans ist, hat zahlreiche Bedeutungen im Roman. So steht sie zum Beispiel für Jugendlichkeit und Revolution, beides Themen der Handlung. Ihre Hauptbedeutung ist jedoch sicher die der Liebe, die auch eine Leitmotiv des Romans und des behandelten Textabschnitts darstellt, sich aber erst im Laufe der Handlung entwickelt. Diese Liebe ist, wägt man sie mit Sinnlosigkeit und Tod ab, der Sinn des Lebens.


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2. Beispiel

Umberto Eco: Der Name der Rose

Interpretieren Sie den folgenden Auszug aus „Der Name der Rose” (Zweiter Tag, Nona). Gehen Sie dabei besonders auf die unterschiedliche Weltsicht des Abtes und seines Gastes und deren jeweilige Orden ein. Stellen Sie den Textauszug in den Romanzusammenhang und in Bezug zur Kernproblematik des Gesamtwerkes. Gehen Sie auch der Frage nach, um welchen Romantyp es sich handelt und warum sich „Der Name der Rose” zum Bestseller entwickelt hat.

Mustergliederung:

  1. Eine Quellenfiktion als Einleitung in das Gesamtwerk
  2. Auszug dem Kapitel Zweiter Tag, Nona
    1. Gespräch zwischen dem Abt und William
    2. Unterschiede zwischen Franziskanern und Benediktinern
    3. Die Weltsicht Williams und des Abtes
    4. Die Kernproblematik des Romans im Spiegel dieser Szene
    5. Mischung verschiedener Romanformen
    6. Extravaganz als Mittel zum Erfolg Ecos
  3. Innerkirchliche Konflikte in der heutigen Zeit

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3. Beispiel

Thema:

Juli Zeh: Spieltrieb
  1. Interpretieren Sie den Auszug aus dem Anfang des genannten Romans. Gehen Sie dabei auch auf Erzählweise und Personengestaltung ein. Diskutieren Sie, inwiefern Zeh in diesem Auszug Gesellschaftskritik übt.
  2. Setzen Sie die Darstellung der „Prinzessinnen” in Bezug zu literarischen Mädchengestalten in einem Werk aus einer anderen Epoche der deutschen Literaturgeschichte.

Text:

[…]
Von Prinzessinnen und Marionetten und der Möglichkeit, sich mit wenigen Worten Respekt zu verschaffen
Ada war ein junges Mädchen und nicht schön. In jenem Augenblick, den der Scheinwerfer dieser Erzählung ins Licht taucht, war sie vierzehn Jahre alt, blond und kräftig gebaut. Ihr Mund war breit, die Handgelenke stark. Über der Nase lag ein löchriger Teppich aus Sommersprossen und wusste bei passender Beleuchtung ein paar Notlügen von gepflückten Wildblumen und Kinderspielen im hohen Gras an den Mann zu bringen. In Wahrheit sah Ada älter aus, als sie war. Ihre Brust war stark entwickelt.

Im Sommer 2002 wurde sie in die zehnte Klasse des Ernst-Bloch-Gymnasiums zu Bonn eingeschult, nach­dem sie aus einem Grund, der sich in Kürze im Rahmen einer musikalischen Rückblende offenbaren wird, ihre alte Schule hatte verlassen müssen. Auf Ernst-Bloch erregte sie zu Anfang wenig Aufmerksamkeit.

In allen Klassen ab der siebenten gab es samt- und seidenweiche Mädchen, deren Geburt durch langsam an­schwellende Musik begleitet worden war wie das hochfahrende Windowsbetriebssystem von seiner Begrü­ßungsouvertüre. Sie kamen als Miniaturprinzessinnen zur Welt, erreichten bereits in der Unterstufe das erste, fohlenhafte Stadium der Vollendung und wuchsen gleichmäßig in die Frau hinein, die sie einmal werden soll­ten. Ihre Entwicklung vollzog sich routiniert und fehlerlos, als hätten sie die Aufgabe des Älterwerdens schon etliche Male zuvor bewältigt. Jene Pubertätsprofis unterschieden sich auf den ersten Blick von den Di­lettanten. Sie hatten das gepflegte, schulterlange Haar erwachsener Frauen, trugen ihre Hüfthosen, breiten Gürtel und knappen Hemdchen mit wohltemperierter Lässigkeit und ließen glatte Kinderhaut und aufgewor­fene Kindermünder zu Mädchenhaut und Mädchenmündern werden, ohne dass Pickel, Schweißausbrüche oder Wachstumslaunen zu irgendeinem Zeitpunkt die Harmonie ihrer Erscheinungen gestört hätten. Die Aura hochnäsiger Sauberkeit, die sie umgab, ließ sich weder von Regengüssen noch von feuchter Sommerhitze beeindrucken. Alles zierte die Prinzessinnen, nasse Haare, rote Nasen und selbst die Staubschicht, die sich im Sportunterricht beim Sprung in die alte Sandgrube über alle Körper legte.

Weil sie daran gewöhnt waren, alles umsonst zu bekommen, besaßen diese menschlichen Rehkitze keinen Ehrgeiz. Männliche Mitschüler bemühten sich um sie, auch jene, zu denen eine Freundin mit Innenleben bes­ser gepasst hätte. Manche betrieben leichten Sport oder lasen leichte Literatur. Ihre Schulnoten waren mittel­mäßig; als Lieblingsfächer nannten sie Deutsch oder Kunst und Biologie, ohne erklären zu können, was ihnen daran gefalle. Während der Oberstufenjahre standen sie bereits im Zenit ihres Lebens. Sie besaßen die stärks­te Ausstrahlung, empfingen ein Höchstmaß an Bestätigung und erlebten Tag für Tag eine Art farblosen Wohlbefindens, um nicht zu sagen: Glück. Nach dem Abitur würde es gemächlich abwärts gehen. Erfreuli­cherweise war ihnen der Spannungsbogen ihre persönlichen Geschichte egal. Vielleicht ahnten sie etwas. Vielleicht rührte von jener Ahnung der melancholische Hauch, der ihren anmutigen Bewegungen etwas Trä­ges, der Trägheit etwas Tragische und der Tragik besondere Anmut verlieh.

Mit dieser Beschreibung sind alle Eigenschaften genannt, die Ada nicht anhafteten. Sie war das Gegenteil ei­ner Prinzessin, sofern Prinzessinnen ein Gegenteil besitzen. Seit Ada im Alter von zwölf Jahren auf den Ge­danken verfallen war, dass Sinnsuche nichts als ein Abfallprodukt der menschlichen Denkfähigkeit sei, galt sie als hochbegabt und schwer erziehbar. Als ihr neuer Klassenlehrer sie aufforderte, sich den anderen Schü­lern vorzustellen, nannte sie ihren Vornamen und wusste sonst nicht zu berichten. Er bat sie um ein paar per­sönliche Sätze, um irgendeine Aussage, die Gültigkeit für die besitze, und verstand ihr Lachen nicht.

Der Schulwechsel bedeute einen Glücksfall für sie, sage Ada schließlich, sie habe sich auf Ernst-Bloch ge­freut. Damals hätten ihre Eltern eine Einschulung auf dem teuren Privatgymnasium nicht erlaubt.

Sie wusste ‚damals’ auf eine Art zu sagen, die nach lang zurückliegenden Epochen klang.

„Und was”, fragte eine Prinzessin mit spiraligen Locken, „ist an Ernst-Bloch das Besondere?”

„Mir war so, als sei dies ein Ort für wirklich kluge, wirklich kaputte, wirklich kategorische Menschen.”

[…]

(Aus: Juli Zeh: Spieltrieb. Frankfurt: Schöffling & Co. 2004, S. 11-13)

Hintergrund:
Juli Zeh (* 30. Juni 1974 in Bonn) ist Juristin und Schriftstellerin. 2004 veröffentlichte sie den Ro­man Spieltrieb. Im Mittelpunkt der in einem Bonner Nobelviertel angesiedelten Handlung steht eine intellektuell frühreife Außenseiterin, die sich im Laufe der geschilderten zwei Jahre an einem Pri­vatgymnasium in ein brisantes Dreiecksverhältnis mit einem Lehrer und einem Mitschüler manöv­riert.


zum Erwartungshorizont:

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4. Beispiel: Das „Märchen” von Rip van Winkle – eine Geschichte im Roman Stiller von Max Frisch

 

Aufgabe:

Interpretieren Sie das „Märchen” von Rip van Winkle, das in der Taschenbuchausgabe von Frischs Roman Stiller auf den Seiten 71-76 zu finden ist!

Gehen Sie dabei auf die vielfältigen inhaltlichen und formalen Beziehungen ein, die zwischen dieser Geschichte und dem Romanganzen bestehen. Fragen Sie dabei auch nach der Erzähltechnik und der Personencharakteristik der jeweiligen Hauptfiguren! Diskutieren Sie, ob es berechtigt ist, einen literarischen Stoff, der in der Tradition vorgefunden wurde, in einen Roman einzuarbeiten! Frisch hatte den Stoff bei Washington Irving gefunden und zunächst in einem Hörspiel verarbeitet.

Arbeitszeit: 09:20-11:55 Uhr

Viel Erfolg!


Erwartungshorizont / Mustergliederung

  1. Das Problem der Identität in Max Frischs Werk
  2. Interpretation der Geschichte von Rip van Winkle
    1. Ein Einblick in Rip van Winkles Lebensgeschichte
    2. Einordnung des „Märchens” in den Zusammenhang des Romans
    3. Zur Erzähltechnik Frischs im Roman und besonders im vorliegenden Ausschnitt
    4. Vergleich der Hauptpersonen
      1. Stiller und Rip van Winkle
      2. Julika und Hanne
    5. Die Darstellung der Ehe in Frischs Roman
    6. Rip van Winkle - eine Parabel auf Anatol Stiller
    7. Der Roman als Aufnahmelager für andere Gattungen
  3. „Stiller” als Roman des modernen Menschen

 

Beobachtungen:

Zu Beginn der Interpretation sollte eine Inhaltsangabe des „Märchens” stehen.

Namen sollten vergleichbar verwendet werden: Stiller – Rip?

Textgattung der Geschichte von Rip van Winkle: eine Parabel!

Beim Textvergleich sollten auch Unterschiede dargestellt werden (Freiwilligkeit der „verlorenen Jahre”, Wunsch nach neuer Identität?).

Zitate müssen mit dem eigenen Text eine grammatische Einheit bilden (keine in Klammern nachgestellten Sätze).

In der Angabe verlangte Beobachtungen gehören in den Hauptteil der Arbeit.

Ungenaue und umgangssprachliche Formulierungen, die mehrfach auffielen:

Die undefinierte Konjunktion „somit” ist meist zu streichen.

Der Ausdruck „es geschafft haben” passt kaum in literarische Zusammenhänge.

Die Formulierungen „Der Autor verwendet ein Stilmittel” oder „Das macht das Verständnis dem Leser leichter” wirken naiv.

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5. Beispiel: Die Isidor-Geschichte in Max Frischs Roman Stiller

Aufgabe:

Interpretieren Sie den vorliegenden Auszug aus Max Frischs Roman Stiller (S. 41-45)! Gehen Sie dabei besonders auf die vielfältigen Bezüge dieser "Isidor-Geschichte" zum Romanganzen, zu Frischs eigener Welt und zu anderen literarischen, motivverwandten Texten ein. Fassen Sie Ihre Beobachtungen zu Sprache und Stil, zur Weltsicht und Philosophie zu einer kurzen Interpretation zusammen, die auch das Romanganze im Blick hat!


Gliederung

  1. Max Frischs Stiller, ein moderner Roman
  2. Interpretation der Isidor-Geschichte in Stiller, S. 41-45
    1. Der Aufstand Isidors
    2. Die Geschichte als indirekter Appell an Stillers Ehefrau Julika
    3. Charakteristik der Figuren
      1. Stiller und Isidor
      2. Julika und Isidors Frau
    4. Erzähltechniken und sprahliche Auffälligkeiten als Hilfsmittel zum besseren Verständnis
    5. Die Bildnisproblematik, ein wichtiges Motiv in dem Roman Stiller
  3. Eheprobleme und Gewalt als Folge mangelnder Kommunikation


Ausführung:

Nachdem der zweite Weltkrieg 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands und Japans beendet worden war, veränderte die Welt ihr Gesicht. Aufgrund der angespannten politischen Situation –ndash;ndash;ndash; der Eiserne Vorhang zog sich quer durch Europa –ndash;ndash;ndash; trauten sich viele Schriftsteller erst nach Jahren wieder, ihrer Tätigkeit ungehemmt nachzugehen. Max Frisch hingegen, ein Schweizer Autor, setzte sich trotz der damaligen Lage ungebrochen mit den Themen und Formen kultureller Moderne auseinander. Sein Meisterwerk Stiller, das von der Flucht vor der eigenen Vergangenheit und aufgenötigten Identität des gleichnamigen Hauptdarstellers handelt, ist keine klassische, traditionelle Erzählung mit einer klar überschaubaren Struktur, sondern ein moderner Roman, der mit der Erfahrung des Schriftstellers entsteht, dass die Welt nicht ohne weitere objektiv dargestellt werden kann, da die Wirklichkeit zu unübersichtlich und komplex ist. Stiller ist nicht chronologisch aufgebaut und besitzt darüber hinaus einen offenen Anfang und Schluss. „Ich bin nicht Stiller!” Mit dem ersten Satz des Romans befindet man sich sofort mitten in der Geschichte und ebenso lässt das Ende das weitere Schicksal der Hauptfigur offen. Der Leser soll selbst beurteilen. Außerdem verwendet der Autor einen personalen Erzählstil, der den Leser direkt ins Geschehen führt. Max Frisch hat also nicht nur einen Gesellschafts-, einen Liebes-, einen Freundschafts- und Glaubensroman geschrieben, sondern gleichzeitig auch einen Kriminalroman. Auch der zu bearbeitende Textauszug (S. 41-45) gibt dem Leser Informationen über Beziehungen und deren Probleme. Im Folgenden soll er näher untersucht und anschließend interpretiert werden.

Die vorliegende Textstelle handelt von einem Apotheker namens Isidor, der glücklich verheiratet ist und Kinder hat (Z. 2ff.). Sein Leben läuft in geregelten Bahnen, das einzige Manko für ihn sind die ständigen Fragen seiner Ehefrau (Z. 6f.). Bei einer Reise nach Spanien (Z. 11) werden er und seine Gattin unglücklicherweise getrennt (Z. 28-30). Isidor selbst findet sich „auf einem ziemlich dreckigen Frachter” (Z. 29) wieder und kommt schließlich in die Fremdenlegion, „wo Isidor zum Mann erzogen” (Z. 38) wird. Nach sieben Jahren (Z. 48) kehrt er wieder in seine Heimat, in sein ursprüngliches Leben zurück, erkennt aber dort nach einiger Zeit der peinlichen Stille, dass sich nichts an der Beziehung zu seiner Frau geändert hat (Z. 64-80). Voller Wut entfernt sich der Hauptdarsteller daraufhin von seinem Haus, kommt aber nach einem Jahr noch einmal wieder und startet einen zweiten Versuch (Z. 99-109): „Und in der Tat [...] kam Isidor nach einem Jahr zurück” (Z. 119). Doch seine Frau beharrt auf ihrem Standpunkt, behandelt ihren Ehemann wie früher und vergrault ihn schließlich immer (Z. 124-140).

Die Geschichte von Isidor erzählt Stiller ausschließlich seiner Frau Julika. In den sieben Jahren, in denen er verschollen war, entwickelte sich der Künstler weiter. Er legte viele schlechte Muster ab und hatte nur noch das Bedürfnis, seine für ihn schlechte Vergangenheit hinter sich zu lassen. Doch bei seiner Rückkehr versucht sein gesamtes Umfeld, ihn wieder ins bekannte Schema zu pressen. Seine Veränderung wird nicht wahrgenommen. Auch seine Ehefrau Julika will nicht akzeptieren, dass er jetzt White ist. Um ihr seine entscheidende Entwicklung näher zu bringen, er selbst sagt ja, dass es keine Sprache für die Wirklichkeit gebe und dass er nicht objektiv über sein Leben schreiben könne, gebraucht er Geschichten mit Parabelcharakter. So erzählt er Julika den Werdegang und die damit verbundenen Probleme von Isidor und weist dadurch auf die eigene Beziehung hin, die genauso unter Sprachlosigkeit (Z. 12, 18) und Wiederholung (Z. 6f., 64f., 85 und 125) leidet. Der Name Stiller spricht für sich, denn er und Julika lassen ihrem Ärger genauso wenig Luft wie Isidor und seine Frau. Wie Isidor hat auch Stiller keinen Erfolg. Julika beharrt auf ihrem Standpunkt, sie will nichts von einer Veränderung wissen. Betrachtet man die Textstelle im Zusammenhang, so müssen zwei Punkte beachtet werden. Zum einen versucht Stiller, nicht zum letzten Mal, wenigstens seine Ehefrau von seiner neuen Identität zu überzeugen, zum anderen bekommt hier der Leser wichtige Informationen über Stiller und dessen Beziehung.

Vergleicht man Isidor und Stiller, erkennt man sehr schnell vom Erzähler gewollte Gemeinsamkeiten, aber auch interessante Unterschiede. Beide Figuren durchleben einen Reifeprozess: Isidor entwickelt sich in der Fremdenlegion weiter, Stiller in den Vereinigten Staaten, dem Land der unbegrenzten Freiheit. Beide haben eine schöne Frau, leiden aber unter der Beziehung. Sowohl Isidor als auch Stiller beziehen alles auf sich selbst und fühlen sich von der Umwelt genötigt eine Rolle zu spielen. Beide wollen aber ihrer Vergangenheit entfliehen und mit dem neuen Ich große Anerkennung erlangen. Man kann aber auch Unterschiede erkennen, die von Stiller, dem Erzähler, auch so gewollt sind. So ist Isidor Vater und im Beruf erfolgreich (Z. 4f.) und damit genau das Gegenteil von Stiller, der eher auf Kosten anderer leben muss. Außerdem absolviert die Hauptfigur der Parabel die Fremdenlegion mit Leichtigkeit, Stiller dagegen versagte gleich bei seinem ersten Einsatz, der gleichzeitig seiner Meinung nach Schuld an der ganzen Misere ist. Isidor steht völlig seinen Mann, da er zum einen nur aus „pure[r] Anständigkeit” (Z. 43) nach Hause kommt und zum anderen, da er bei seiner Familie hart durchgreift (Z. 99f.) und auch ohne sie sein Leben fristen kann. Anatol hingegen ist einer ein Weichling , was seinen Ursprung bei der Polin Anja hat, der nicht allein sein kann und irgendeinen Beziehung braucht, sie sie auch noch so krampf- und krankhaft. Er verkürzt sogar die Geschichte und lässt so den harten Appell lediglich zu einer kleinen Warnung werden. Betrachtet man die erarbeiteten Ergebnisse, so kommt einem schnell der Gedanke, dass die Unterschiede teilweise deshalb so gravierend sind, da Stiller gern wie Isidor sein würde, wie sein Kinderwunsch zeigt, er ist und bleibt aber Stiller.

Julika und Isidors Frau haben auch viele auffällige Gemeinsamkeiten. Beide gebrauchen andauernd die Wiederholung und akzeptieren keine Veränderungen ihrer Ehemänner. Sie haben ein festes Bild. Sie lassen ihrem Frust keine Lust und fühlen sich eigentlich in einer schlechten Beziehung gefangen. Beide haben Hoffnung auf eine glückliche Zukunft, tragen aber durch ihr Verhalten selbst dazu bei, dass die Ehe zum Scheitern verurteilt bleibt. Sie tragen also passiv zu der schlechten Situation bei, sie nutzen die Schwächen ihrer Ehemänner schamlos aus, um diese an sich zu binden. Dabei ist festzustellen, dass Julika bei weitem mehr Erfolg hat als ihr Gegenüber in der Parabel.

Die Erzählung über Isidor weist viele sprachliche Auffälligkeiten und Erzähltechniken auf, die das Verständnis des Lesers fördern. So betont Stiller Julika gegenüber mit seinen Ausrufen (Z. 1f.), Parenthesen (Z. 48), Klammern (Z. 98) und weiteren Einfügungen des Erzählers (Z. 4f., 9, 21) bestimmte Textpassagen, die eine erhöhte Aufmerksamkeit des Zuhörers bzw. Lesers erfordern. Außerdem baut Stiller durch die Verwendung dieser Techniken eine gewisse Spannung und Dynamik auf, die der Parabel zu Gute kommt. Mit Vergleichen (Z. 17f.), Anaphern (Z. 114f.) und Wortwiederholungen (Z. 21, 24, 80, 83 und 84) beschreibt er zum einen die Landschaft und gibt zum anderen auch Gefühle und Emotionen der Figuren wieder. Helvetische Ausdrücke (Z. 32f.) geben dem aufmerksamen Leser Hinweise auf die wahre Identität Stillers, die ja im Roman noch nicht geklärt ist. Das „dröhnende Tuten” (Z. 27) steht symbolisch für den entscheidenden Schritt, der Vergangenheit hinter sich zu lassen und neue Erfahrungen zu sammeln. Diese Stilmittel sollen eine höhere Eindringlichkeit auf Julika bewirken, letztendlich muss aber festgestellt werden, dass Stillers Erzählung erfolglos bleibt.

Aus den bisher erarbeiteten Hinweisen geht hervor, dass die Bildnisproblematik ein wichtiges Motiv in der Parabel wie überhaupt im ganzen Roman ist. „Du sollst dir kein Bildnis machen!” steht schon in den Zehn Geboten, und das zu Recht. Denn mit dem Versuch ein Bildnis von einer Person anzufertigen, nimmt man das Lebendige, das Menschliche weg. Denn ein Bild ist statisch, einmal gemalt, ist es unveränderbar. Solche Masken engen den Menschen ein, sie reduzieren ihn auf Fakten, der Mensch wird zu einem Objekt. Genauso ergeht es Isidor und Stiller. Beide haben von ihrem Umfeld ein bestimmtes Bild bekommen, eine aufgenötigte Identität, und schaffen es nicht, von diesem loszukommen. Jeder Mensch hat mit bestimmten Rollen zu kämpfen, die auferlegt worden sind. Heute ist die Situation schlimmer denn je, als Individuum muss man sich dem Trend der Gesellschaft anpassen, man lebt nur noch aus zweiter Hand (vgl. Illustriertenmotiv, S. 20). Max Frisch hat diese Entwicklung bereits vor über 40 Jahren erkannt. Er weist durch seine Werke wie Stiller, Homo faber oder Mein Name sei Gantenbein darauf hin, wie lieblos es ist, Bilder von anderen Menschen anzufertigen. Denn echte Liebe braucht keine vorgefertigten Rollen, man ist dem Gegenüber aufgeschlossen und freut sich an dessen Entwicklung. Natürlich ist Stiller nicht nur das Opfer der Gesellschaft, sondern er trägt auch aktiv zur Bildnisproblematik bei. Er ist nicht nur Bildhauer von Beruf, sondern er hat auf symbolhafte Art und Weise eine Gipsfigur von seiner Frau hergestellt, er hat also ein bestimmtes Bildnis von seiner Frau. Dass sie daran kaputt gegangen ist, zeigt Max Frisch immer wieder im Roman. Er will nicht Probleme lösen, sondern darauf hinweisen, wie er die Welt versteht und kennen gelernt hat. Der Leser soll selber für sich Lösungsvorschläge und Moralvorstellungen entwickeln.

Ein Thema dieser Geschichte wird auch in der heutigen Zeit immer mehr in den Vordergrund gerückt. Viele Psychologen bemerken, dass Probleme in Ehe und Familie oft dadurch entstehen, dass zu wenig miteinander kommuniziert wird. Stattdessen frisst man, wie Stiller und auch isidor, seinen Ärger in sich hinein. Schon im Kindesalter treten dann die ersten Störungen auf, denn viele Meinungsverschiedenheiten enden in körperlicher Gewalt, da die Kinder, die späteren Ehepartner, nicht mehr lernen, einen Streit oder einen Dissens durch Dialog und Diskussion zu lösen.

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6. Beispiel: Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werthers

Aufgabe:

Interpretieren Sie den Brief vom 28. August 1771 in J.W.v.Goethes „Die Leiden des jungen Werther”, in der Ausgabe der Hamburger Lesehefte auf den Seiten 39-40! Beziehen Sie bei Ihrer Interpretation aber auch geeignete andere Briefe mit ein. Halten Sie sich bei Gliederung und Ausführung an die in der Schule besprochene Form!


Erwartungshorizont

Einleitung: Allgemeine Angaben zu Autor und Werk; Hinführung zum Brief vom 28.8.1771;

Hauptteil: Ausgehend von einer Inhaltsangabe verschiedene Aspekte des gegebenen Textausschnittes in ihrer Bedeutung für ein Gesamtverständnis interpretieren, z.B.:

Schluss: Wirkung des Romans: Welterfolg, Identifikationen unglücklich Verliebter, Plenzdorf;


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7. Beispiel (zu Uwe Timm: Rot; 30.11.2012)

Aufgabe:

  1. Interpretieren Sie den Auszug aus Uwe Timms Roman „Rot” (S. 107-111)! Stellen Sie dabei unter anderem bedeutende Leitmotive dieses Romans dar und weisen Sie deren Niederschlag in dem vorliegenden Textauszug nach.
  2. Gehen Sie der Frage nach, ob der Roman „Rot” als Reiselektüre für Berlinreisende geeignet ist.


Erwartungshorizont

Gliederungsbeispiel:

A. Uwe Timm und sein Roman „Rot” [Hinführung zum Textauszug nicht vergessen!]

B. Eine Facette aus einem modernen Roman

I. Begegnung mit Ben und Nilgün [Inhalt und gedanklicher Aufbau des Abschnitts]

[Beschreibung Bens – Gespräch zwischen Thomas und Nilgün – Bewertung dieser Begegnung – Bedeutung der „Wolke”]

II. Romanfiguren und ihre Bedeutung

1. Thomas Linde, ein sterbender Beerdigungsredner

2. Iris, schwangere Lichtbringerin

3. Ben, ein sympathischer Betrogener

4. Die emanzipierte Deutschtürkin Nilgün

III. Kennzeichen des modernen Romans

1. Assoziativer Aufbau in gedanklichen Einheiten

2. Bewusstseinsstrom eines Sterbenden

3. Aufhebung von Chronologie und Einheit des Ortes

4. Verschwinden des klassischen „Helden”

IV. Bedeutende Leitmotive, die in dem Auszug ihren Niederschlag finden

1. Farben und ihre Bedeutung

2. Eros und Thanatos als Bezugspunkte einzelner Handlungen

V. „Rot” als alternative Reiselektüre für Berlin-Reisende

C. Der Roman als Hilfe zur Sinnfindung

Gedanken zur Ausführung: